Ein spannender Bericht von Joachim Jenrich
Der größte Tag der Wasserkuppe
Seit 80 Jahren steht der Bronzeadler jetzt auf seinem basaltenen Sockel und schaut im Jahre 2003 ohne Augen mit starren Blick in die Weite der Rhönlandschaft. Das Denkmal wird, da es auf dem Berg der Segelflieger errichtet wurde, zwangsläufig mit dem Segelflug in Verbindung gebracht. Die Inschrift auf der Bronzetafel spricht nur allgemein von "toten Fliegern" und lässt diesen Schluss zu. Erstellt aber wurde das Denkmal von Feldpiloten des Ersten Weltkriegs für ihre zwischen 1914 und 1918 gefallenen Fliegerkameraden.
Unvorstellbar ist es uns heute, wie damals eine derartige Menschenmenge aus allen Teilen Deutschlands zur Einweihung in die entlegene und damals verkehrstechnisch kaum zugängliche Rhön gekommen ist, ohne Radionachrichten und Fernsehwerbung.
Und nicht an einem Feiertag oder einem Wochenende: Der 30. August des Jahres 1923 war ein ganz gewöhnlicher Wochentag, ein Donnerstag.
Die Fuldaer Zeitung vom Vortage vermeldet dazu u.a.: "Auch Motorflieger sind auf dem Wege zur Wasserkuppe. Dienstag Abend gegen 19.30 Uhr landete im dichten Nebel ein Motorflugzeug des Deutschen Aero-Lloyd, das drei Stunden vorher unter Führung des Piloten Piper mit einem Passagier an Bord in Berlin-Staaken mit dem Ziel zur Wasserkuppe gestartet war, auf der Kuppe. Trotz des Nebels hat das Flugzeug sein Ziel erreicht. Es ist das erste Motorflugzeug, das auf der Wasserkuppe gelandet ist.
Ein weiteres Motorflugzeug, das von Breslau aus zur Wasserkuppe wollte, landete gestern Abend bei Ziehers...." Und im Gersfelder Kreisblatt vom 27. August 1922 findet sich der Aufruf: "An die Einwohner Gersfelds! Anläßlich des am 30. August d.J. auf der Wasserkuppe stattfindenden Flieger-Gedenktages wird die hiesige Einwohnerschaft freundlichst gebeten, ab Mittwoch Nachmittag über Donnerstag hinaus, ihre Häuser zu beflaggen. Gersfeld, den 27. August 1923. Der Magistrat. Seifert."
Die Bauherren
Bald nach Beendigung des Ersten Weltkriegs, schon im Februar 1919, waren verschiedene "kameradschaftliche Vereinigungen" ehemaliger Frontfliegerverbände entstanden, die sich später im "Ring der Flieger e.V" vereinigten. Der erste Vorsitzende war bis zu seinem Tode der ehemalige Kommandierende General der Luftstreitkräfte Ernst von Hoeppner. Sein Nachfolger wurde 1922 der frühere Inspekteur der Fliegertruppe, Generalleutnant a.D. Walter von Eberhardt. Schon bei der Gründungsversammlung ist der aktive Reichswehr-Oberleutnant Ottfried Fuchs zum Geschäftsführer der Vereinigung gewählt worden.
Für den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft sorgte das "Fliegerring-Nachrichtenblatt", das sechsmal im Jahr in Berlin gedruckt wurde.
Jährliche Großveranstaltung war seit 1920 die Oswald-Boelke-Gedenkfeier am 28. Oktober, dem Todestag des berühmten Jagdfliegers (40 Luftsiege, gefallen 1916).
Der Ring der Flieger e.V., oder auch "Fliegerring", beteiligte sich nach der Wiedererlaubnis der sportlichen Motorfliegerei im Mai 1922 (eine motorlose Fliegerei war von dem alliierten Verbot nicht erfasst gewesen) an der Organisation fliegerischer Veranstaltungen. Er entschied auch in den Jahren 1928 bis 1932, gemeinsam mit dem Deutschen Luftfahrt-Verband, über den Vorschlag an den Reichspräsidenten zur Verleihung des begehrten Hindenburgpokals, der höchsten Auszeichnung für einen deutschen Motorflieger. Unter dem Druck der Gleichschaltung übergab am 29. Oktober 1933 der damalige – letzte – Vorsitzende des Rings der Flieger, Fritz Siebel, die einzige Standarte der Fliegertruppe aus dem ersten Weltkrieg an den Präsidenten des inzwischen organisierten uniformen und uniformierten Deutschen Luftsportverband e.V., an den Pour-le-merite-Flieger Bruno Lörzer, zum Zeichen der "freiwilligen" (!) Eingliederung. Damit endete die Geschichte des Ringes der Flieger. Ein Versuch von H.F. Knoesch, den Fliegerring nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu neuem Leben zu erwecken, scheiterte. Außer dem Fliegerdenkmal zeugt auch noch das "Ringhaus" auf der Wasserkuppe im ehemaligen Kasernenbereich von seiner früheren Existenz.
Die Verbindung des Ringes der Flieger e.V. zur Rhön wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es fast durchwegs Erste-Weltkriegs-Piloten gewesen sind, die in den Wettbewerben der Anfangsjahre die beachtlichen Erfolgsleistungen erbrachten und die uns und der Welt den Segelflug erst als neue Sportart geschaffen haben: Walter Blume, Otto Fuchs, Hans Hackmack, F.H. Hentzen, Max Kegel, Wilhelm Leusch, Alexander Lippisch, Eugen von Loessl, Artur Martens, Erich Meyer, Johannes Moßner, Wolfgang Klemperer, Bruno Poelke, Ferdinand Schulz, Fritz Stamer und viele andere. Sie waren nicht alle Mitglieder des Fliegerrings gewesen, aber diesen flugbesessenen Männern war es eine durchaus ernsthafte Herzensangelegenheit gewesen, ein ehrendes Gedenken an ihre einstigen Vorbilder Immelmann, Boelke, von Richthofen und an die vielen anderen toten Kameraden zu bewahren. Jedes kleine Dorf hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon sein Kriegerdenkmal.
Das Fliegerdenkmal wurde vom Ring der Flieger in Auftrag gegeben. Dazu gehörten 1923 folgende Gruppierungen:
Zusammenarbeit
Für den Ring der Flieger war der aktive Offizier im Hunderttausend-Mann-Heer (diese Stärke war dem Nachkriegsdeutschland von den Alliierten zugestanden worden), Oberleutnant Ottfried Fuchs, als Geschäftsführer ein Glücksfall, er beschaffte die Geldmittel. Er begegnete dem Münchner Architekten Moßner, der wie er Weltkriegspilot war und ebenfalls als freiwilliger Helfer in der Wettbewerbsleitung während der Rhönwettbewerbe tätig war. Fuchs führte mit ihm die Verhandlungen wegen eines Bauauftrags auf der Wasserkuppe:
Der Ring der Flieger wollte auf der Wasserkuppe ein festes Gebäude errichten, das den Wettbewerbsteilnehmern, vor allem solchen aus dem eigenen Verband, als Unterkunft dienen konnte. Nach den Vorstellungen des Bauherren sollte Moßners Entwurf auf mindestens vierzig Doppelzimmern ausgelegt sein. Das langgestreckte Gebäude entstand nördlich der damaligen Messerschmitt-Baracke, an deren Stelle jetzt seit 1925 das Ursinus-Haus steht. Auch das Ringhaus, das 1924 in Gebrauch genommen wurde, steht heute noch modernisiert im Gebäudekomplex.
Die Idee
Der Gedanke zur Errichtung eines Denkmals für die gefallenen Weltkriegsflieger auf der Westhangstufe entstand wohl 1922 nach einer Gedenkfeier an den "Loessl-Steinen", wie die Basaltsteinhalde am Lerchenhügel jetzt genannt wurde. Diese Stelle, von welcher während des ersten Rhönwettbewerbs Eugen von Loessl zu seinem letzten Flug gestartet war, hatte Oskar Ursinus damals als Ort für eine jährliche Gedenkstunde bestimmt. Am gleichen Tage, 24 Jahre vorher, war Otto Lilienthal in den Rhinower Bergen abgestürzt.
Oskar Ursinus: "Von jetzt ab werden wir den 9. August in Gedenken an Otto Lilienthal und Eugen von Loessl mit einer Feierstunde begehen, drüben am Westhang....Im August soll in Zukunft ein deutscher Fliegertag stattfinden.....in der Rhön muss sich jedes Jahr alles treffen, was an der Sache mitarbeiten will...". Dieses Gelöbnis wurde Vermächtnis und Verpflichtung bis in die heutigen Tage. Hier bei den Loessl-Steinen, war auch Wilhelm Leusch, ebenfalls ein Weltkriegspilot, im August des Jahres 1921 gestartet. Er wurde der zweite Tote des Segelflugs. Seitdem findet am zweiten Sonntag im August noch immer alles "was an der Sache mitarbeiten will" den Weg auf die Wasserkuppe zur Gedenkstunde am Fliegerdenkmal.