... als man von Neustadt nach Hilders 13 Stunden brauchte
Wer heute mit dem Auto durch die Rhön fährt, braucht keine Befürchtungen zu haben, dass er seine Route nicht findet. An jedem Ortsausgang und an jeder Kreuzung finden sich Hinweistafeln, die das nächste oder ferngelegene Ziel angeben. Ein Komfort, der so nicht immer üblich war. Auch Wegweiser oder gar Hinweistafeln waren früher mehr als rar.
So muss man sich wundern, wie sich die damaligen Fuhrleute orientierten. Einige wenige Orientierungsmöglichkeiten gab es schon in frühesten Zeiten: Es waren große markante Bäume, Wartbäume, auch Bildeichen genannt, die meist an wichtigen Verzweigungen standen. An ihnen waren häufig Hinweisschilder zu in der Nähe gelegenen Orten angebracht. Neben ihrer Wegweiserfunktion hatten Bildeichen noch eine weitere: Marienbildchen oder Bilder von Heiligen sollten den Baum vor Vandalen schützen, seine Wegweiserfunktion erhalten.
Daneben gab es später Wegweiser: Zollstock, Eiserne oder Hölzerne Hand genannt, die in Form eines Stockes oder eines ausgestreckten Armes die Richtung angaben. Die Namen mancher Wegweiser setzen sich noch heute in Wald- oder Flurbezeichnungen fort. So gibt es in der Nähe des Guckaspasses (am Kreuzberg) und im Salzforst jeweils die Waldort-Bezeichnung "Eiserne Hand". Eine "Bildeiche" steht im Salzforst an einem Platz, an dem sich zu Forstwegen gewordene uralte Straßen noch heute verzweigen.
Weitere Merkpunkte waren auch Gedenksteine und Bildstöcke, die ebenfalls an wichtigen Kreuzungen errichtet wurden. So diente z.B. der Gedenkstein am sogenannten Schweinfurter Kreuz im Spessart, der von den Angehörigen eines im Mittelalter ermordeten Kaufmanns dort errichtet wurde, bis zum Bau der neuzeitlichen Straße (heute B 8) durch den Spessart als markanter und wichtiger Wegweiser. Es steht dort, wo die alte Nürnberger Poststraße den Eselsweg kreuzt.
Wenn man auf der B 278 durch das Ulstertal über die Hohe Rhön nach Bischofsheim und weiter auf der B 279 nach Bad Neustadt fährt, fallen die in scheinbar unregelmäßigen Abständen neben der Straße stehenden konischen Säulen auf. Dieser Straßenzug wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner gesamten Länge von der heutigen thüringischen Landesgrenze bei Tann bis nach Bad Neustadt von bayerischen Behörden gebaut. Damals gehörten Teile der heutigen hessischen Rhön, darunter das Ulstertal, noch zum bayerischen Staat.
Solche "Meilensäulen" gibt es an vielen Straßen im Gebiet der Rhön und des Grabfeldes: Sie geben die Entfernung zum nächstgelegenen Ziel an, sind also die Vorläufer der heutigen gelben Hinweisschilder. Doch die an der B 278 zwischen Tann und dem Rhönhäuschen (Landesgrenze) stehenden Säulen sind eine Besonderheit: Sie geben die Entfernung nicht in Meilen oder Kilometern an, sondern in Stunden. Im weiteren Verlauf bis nach Bad Neustadt, also auf bayerischem Gebiet, hat man die Angaben geändert: Sie lauten auf "Kilometer".
Warum ausgerechnet im Ulstertal die Stundenangabe erhalten blieb, lässt sich nur damit erklären, dass man eine Aktualisierung im abgelegenen hessischen Grenzgebiet nach Bayern, im Gebiet der Hohen Rhön, wohl nicht für nötig hielt. Ein Wunder, denn vor dem Bau der Autobahn (A 7) durch die Rhön hatte die B 278 eine wesentlich größere Verkehrsbedeutung als heute.
Doch die Zeit, die man brauchte, um von einem Ort zum andern zu gelangen, konnte ja je Konstitution und Ausrüstung unterschiedlich sein. Deswegen waren die "Stundenangaben" auf den Säulen ein "genormtes" Entfernungsmaß, das z.B. im Großherzogtum Hessen 2000 Klafter hatte, was etwa 5 Kilometern entsprach. Dies ist etwa die Entfernung, die ein beladenes Fuhrwerk in einer Zeitstunde zurücklegte.
In den verschiedenen deutschen Kleinstaaten gab es allerdings unterschiedliche Maße für diese Leistung: Sie lagen zwischen 5 und 7 Kilometern, was auf die Wegebeschaffenheit in den einzelnen Gebieten (Zustand der Straßen, Geländebeschaffenheit, Höhenunterschiede) zurückzuführen ist. Auch die Post rechnete in Stunden. So betrug eine Poststunde um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ½ Meile, etwa 3,75 km.
Die Stundensteine in der Rhön stehen im Abstand von knapp 4 Kilometern. An der alten Straße von Koblenz nach Frankfurt (heutige B 8) stehen sie im Abstand von knapp 5 Kilometern – möglicherweise war dort der Straßenzustand besser als in der Rhön.
Die Stundensteine in der Rhön sind einheitlich 165 cm hoch und haben ca. 48 cm im Durchmesser. Die mittlere der dreispaltigen Beschriftung gibt stets die Entfernung nach Bad Neustadt an, die beiden seitlichen die zu den nächstliegenden Hauptorten.
Der Stundenstein nördlich des Roten Moores beim Parkplatz Moorwiese gibt als Entfernung nach Hilders mit 2 3/8 Stunden an. Die Entfernung auf der heutigen Straße beträgt gut 12 km.
Wenn man von (Bad) Neustadt nach Hilders fuhr, brauchte man damals "13 Stunden!"
Die Standorte und Aufschriften der acht Stundensteine in der hessischen Rhön
Tann am nördlichen Ortsausgang in Richtung Landesgrenze nach Thüringen
Nordseite: 2/8 Stunde nach Tann
Mitte: 14 Stunden von Neustadt
Südseite: 1 Stunde nach der Reichsgrenze ( = Nordgrenze Königreich Bayern)
Zwischen Wendershausen und Lahrbach
Nordseite: 1 6/8 Stunden nach Hilders
Mitte: 13 Stunden von Neustadt
Südseite: 6/8 Stunden nach Tann
Zwischen Lahrbach und Hilders
Nordseite: 6/8 Stunden nach Hilders
Mitte: 12 Stunden von Neustadt
Südseite: 1 6/8 Stunden nach Tann
Zwischen Hilders und Batten
Nordseite: 5 6/8 Stunden nach Bischofsheim
Mitte: 11 Stunden von Neustadt
Südseite: 2/8 Stunden nach Hilders
Zwischen Thaiden und Seiferts
Nordseite 4 5/8 Stunden nach Bischofsheim
Mitte: 10 Stunden von Neustadt
Südseite: 1 2/8 Stunden nach Hilders
In Wüstensachsen
Nordseite: 3 5/8 Stunden nach Bischofsheim
Mitte: 9 Stunden von Neustadt
Südseite: 2 2/8 Stunden nach Hilders
Zwischen Wüstensachsen und dem Rhönhaus vor dem Roten Moor
Nordseite: 2 5/8 Stunden nach Bischofsheim
Mitte: 8 Stunden von Neustadt
Südseite: 3 2/8 Stunden nach Hilders
Zwischen Wüstensachsen und dem Rhönhaus nach dem Roten Moor
Nordseite: 1 5/8 Stunden nach Bischofsheim
Mitte: 7 Stunden von Neustadt
Südseite: 4 2/8 Stunden nach Hilders