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II. Allgemeine Betrachtungen

Ein Wort zur Altstraßenforschung

Die Altstraßenforschung hatte ihre Blütezeit in der zweiten Hälfte des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach dem 2. Weltkrieg gestaltete sie sich besonders schwierig, weil zum einen die alten Verbindungen zu größten Teilen verschwunden, zum anderen viele Urkunden mit den Archiven im Krieg verbrannt waren. Trotzdem gibt es interessante Arbeiten zum Thema, darunter einige Dissertationen.

Da dieser Zweig der Heimatforschung mit Ausnahme der wissenschaftlichen Arbeiten hauptsächlich von engagierten Heimatforschern in deren Freizeit betrieben wurde, ist klar, dass man keine größeren Gebiete genauer erforschen konnte. Allerdings entstanden dadurch sich widersprechende Aussagen über den Verlauf manches Fernweges oder wurden zusammenhängende Straßenzüge oft nur auf Teilstrecken beschrieben. Straßenforschung richtig betrieben, ist sehr aufwendig, und wie schon Georg Landau 1846 schrieb, "wird das Material in demselben Grade dürftiger, je weiter man sich von der Heimath entfernt."

Alte Straßen

Straßen wurden in Mitteleuropa mit Ausnahme der Römerzeit erst ab der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts neu und befestigt gebaut. Davor waren die Fernverbindungen ausschließlich Naturwege, also nicht befestigte Wege. Doch wurden nach der ersten Rodungsperiode, in deren Folge sich auch neue Siedlungen in den bislang unbewohnten Talböden bildeten, Verbindungswege zwischen diesen Ortschaften angelegt.

Sie hatten zwar nicht den Charakter einer Straße, wurden jedoch im Zuge der Fernverbindungen als solche genutzt. Als Beispiel mag die Straße durch das Kinzigtal dienen, die den Fernverkehr von den sie östlich und westlich begleitenden Höhenzügen abzog, (Weinstraßen im Spessart, Hohe Straße im Vogelsberg) Schon die Franken nahmen Ausbesserungen an ihren Straßen vor und bauten Brücken. (6) Damit legten sie schon den Grundstock für die spätere Verlagerung des (Haupt-)Straßennetzes in die Täler.

Der Grund dafür, dass die frühen Fernstraßen als Hochstraßen verliefen, liegt auf der Hand: Die Flüsse schoben sich in großen Bögen (Mäandern) ihrer Mündung zu. Die Täler wurden oft in ihrer ganzen Breite von ihnen und ihren Nebenarmen sowie dem Auwald ausgefüllt und waren unbewohnbar. Dazu kamen die einmündenden Flüsse und Bäche, die man ebenfalls hätte überqueren müssen.

Der eigentliche Feind der Reisenden war allerdings nicht das Wasser direkt, sondern der sumpfige Auwald, in dem man Gefahr lief, stecken zu bleiben. Die bewirtschafteten Felder und Weiden und die dazugehörigen Orte befanden sich in Höhen, die man heute als "Mittellagen" bezeichnen kann.

In der hessischen Straßenforschung wurde der Grundsatz der Höhenstraßen mehrfach bestätigt und gilt als gesichert. Die hessische Altstraßenforscherin Gudrun Loewe schrieb 1958 (7) über Merkmale alter Straßen:

"... durch alle Zeiten werden stets dieselben von der Natur vorgezeichneten Höhenwege entlang den Wasserscheiden benutzt, sei es vom fahrenden Händler mit Saumtier und Ochsenkarren, sei es von beuteheischenden Heerhaufen oder landsuchenden Bauern mit ihrer beweglichen Habe."

Auch der Viehtrieb der einheimischen Weidebauern bevorzugt die bekannten, auf den Höhenrücken gar nicht zu verfehlenden, übersichtlichen Straßen. Als markante und allgemein bekannte Linien im Gelände werden Straßen schon früh vielfach zu Besitzgrenzen. Noch heute fallen sie weithin mit Flur- oder Gemarkungsgrenzen zusammen ....

... vorgeschichtliches Alter einer Straße erhellt weiterhin aus vorgeschichtlichen Anlagen (Grabhügeln und Burgwällen) an ihrem Verlauf und aus naturgegebener Linienführung. Geländebegehungen geben oft den Ausschlag, wo exakte Belege fehlten ....

... was den heutigen Wanderer auf alten Straßen am stärksten beeindruckt: breite und tiefe Hohlwege, zahlreiche tiefe Wagenrinnen nebeneinander im Anstieg oder große Breite zwischen den Rainen, das alles sind Folgeerscheinungen nicht von besonders alter, sondern vielmehr von sehr häufiger Benutzung in jüngerer Zeit, von großer Verkehrsdichte in Mittelalter und Neuzeit. Auch Steilanstiege mit zehn oder mehr Prozent Steigung können erst seit dem Mittelalter mit Vorspann bewältigt werden.

Die uralten Straßen hingegen machen sich die gemäßigte Steigung auf der natürlichen Abdachung des Gebirges zunutze. Sie folgen intuitiv der Gunst des Geländes, ohne je die Hauptrichtung des Fernzieles außer Acht zu lassen, meiden feuchte Niederungen und Quertäler und halten sich vorzugsweise an Wasserscheiden oder geeignete Hanglagen. Derartig geschickt geführte "Naturstraßen" können fast das ganze Jahr hindurch gefahrlos benutzt werden.

Neben der Morphologie der Oberfläche beeinflusst auch die Geologie des Untergrundes die Wegführung: In unserer Landschaft bietet der reichhaltig mit Steinen durchsetzte Basaltverwitterungsboden den besten Fahrweg. Buntsandstein neigt stärker zur Ausbildung von Hohlwegen, und der steinfreie Löß ist bei Feuchtigkeit schlecht zu befahren und wird allzu leicht zu tiefen Hohlwegen ausgewaschen. Gleichfalls ungünstig zeigen sich die alluvialen Anschwemmungen der Talauen, die deshalb, wo ein Flussübergang notwendig ist, auf dem kürzesten Weg überquert werden.

Die "Spatenforschung" bringt zunehmend neue Erkenntnisse darüber, dass die "günstigen Siedlungsplätze" schon in fast allen Siedlungsperioden von Menschen besiedelt gewesen waren. Die Besiedelung entwickelte sich entlang der uralten (Fern-)Straßen und steht so in engem Zusammenhang mit ihnen. Nach dem "Kontinuitätsprinzip" ist davon auszugehen, dass die nach morphologischen Gesichtspunkten günstigen Verbindungen über die Höhen auch nach dem Entstehen neuer Verbindungen durch die Täler unter wechselnder Bedeutung weiter genutzt wurden. Jäger schrieb:

"Detaillierte Trassenangaben zur Fixierung der alten Völkerstraßen sind in den ernstzunehmenden neueren Arbeiten in der Regel unterlassen worden, weil so gut wie keine vorfränkischen Quellen existieren und weil die bisherigen Bodenfunde nicht ausreichen, daran ganze Straßenzüge aufzuhängen. Trotzdem ist anzunehmen, dass die alten Trassen und Verbindungswege in der Regel weitertradiert werden, weil bis in die frühmittelalterliche Zeit in erster Linie die natürlichen Gegebenheiten des Terrains den Streckenverlauf bestimmen.
Hierbei ist freilich nicht auszuschließen, dass sich mit den Verkehrszielen auch die Verkehrsfunktion einzelner Routen verschob."

Bereits in der Vor- und Frühzeit spielte der Handel eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Fernverbindungen. Doch Aufzeichnungen, aus denen die genauen Verläufe der damaligen Straßen hervorgehen, gibt es – mit Ausnahme über einige Römerstraßen - so gut wie keine. Erst in der Gründungsgeschichte des Klosters Fulda, der Vita Sturmi, werden Verkehrsverbindungen erwähnt.

Mit Ausnahme der Gebiete, in denen noch Reste der alten Römerstraßen vorhanden waren, ist davon auszugehen, dass die Franken bei ihrer Landnahme zunächst die uralten günstigen Hochstraßen nutzen, die seit Jahrtausenden über die Kämme der Gebirge verliefen und an denen sich auch Siedlungen befanden. Dies lässt den Schluss zu, dass sich bis zur Entstehung der Talstraßen das Leben im wesentlichen "eine Etage höher" als heute, also nicht in den Tälern, sondern in mittleren Lagen, abgespielt hat. Als Beweis dafür mögen die Wüstungen in unseren Mittelgebirgen dienen, von denen sich manche an alten Fernwegen in Hoch- und Mittellagen befanden.

An strategisch wichtigen Stellen in den Gebirgen, z.B. an den Übergängen über die Rhön, befanden sich bereits zu keltischen Zeiten befestigte Plätze, die im Volksmund heute meist "Schwedenschanzen" genannt werden. Damit wird im Grunde bestätigt, dass diese schanzenartig angelegten Plätze auch in jüngeren Zeiten militärisch genutzt wurden. Durch politische Veränderungen kristallisierten sich wichtige und unwichtige heraus, von denen wiederum die, deren strategische Bedeutung anhielt, als Burgen ausgebaut wurden.

Zur Grenzsicherung gegenüber Fulda wurden im 12. Jahrhundert Burgen erbaut oder, wie oben angeführt, vielleicht auch nur ausgebaut, z.B. Rabenstein und Osterburg. Beide liegen an wichtigen Straßen bzw. Übergängen über die Rhön. Dies mag auch für die Hildenburg oberhalb von Stetten gelten, die am Übergang einer im Mittelalter wichtigen nordwest-südost-Verbindung über die Rhön lag. Dass die frühfränkische Werinfriedesburg bei Oberelsbach nicht ausgebaut wurde, könnte daran liegen, dass dieser Rhönübergang von geringerer Bedeutung war.

In vielen Fällen ermisst sich also die Bedeutung von Burgen auch aus ihrer strategisch günstigen Lage an den Kreuzungspunkten oder an Verzweigungen wichtiger alter Verbindungen. Und ihr Fall in die Bedeutungslosigkeit lässt sich häufig mit Verkehrsverlagerungen in Verbindung bringen, die aus den einstmals wichtigen Verbindungen strategisch unwichtige regionale Straßen machten. Auch kirchliche Einrichtungen wurden an wichtigen Kreuzungen oder Verzweigungen der alten Fernstraßen angelegt.

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