Das Kunstwerk
Im Bestandskatalog der Skulpturenabteilung der Hamburger Kunsthalle ("Die Dritte Dimension" von Georg Syamken, Hamburg 1988) wird die Adlerskulptur des August Gaul, von der es insgesamt drei Exemplare (Hamburger Kunsthalle, Nationalgalerie in Berlin, Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe) gibt, wie folgt beschrieben:
"Das Urbild aller nationalsozialistischen Adler mit allen Paraphernalia des Raubtiers, seiner wehrhaften Schönheit und seiner diskret unter seinem wohlig gespannten Gefieder verborgenen Energie. Angesichts des Klimas vor dem Ersten Weltkrieg ein nicht mehr unschuldiges Symbol monumental zur Schau gestellten Machtbewußtseins und dennoch ein Werk, das wegen seiner Originalität Respekt abnötigt. Es ist – allein von seinem Format her – mehr als eine bildhauerische Skizze tierischen Seins und Verhaltens, aber es hütet sich, jede anthropomorphe Parallele über das naturalistische Maß hinaus zu strapazieren. Die Sinnbelastung ergibt sich aus der Heraldik: Die Nähe zum Wappentier des Deutschen Reiches ist in dieser Größe nicht mehr zu übersehen; das wartende Spähen zu sehr auf die geopolitische Einsamkeit des Reiches zu beziehen, die irrtümlicherweise noch als aussichtsreich galt…." Gegossen wurde der Adler in der Kunstgießerei Noack in Berlin.
Die naturbelassenen Basaltsäulen als Fundament des Fliegerdenkmals fügen sich gut in die rauhe Rhönlandschaft ein. Aus Hamburg brachte Ottfried Fuchs den Bronzeadler, wo dieser den Garten der Ballin´schen Villa in der Feldbrunnenstraße Nr. 58 dekorierte, die heute das UNESCO-Institut für Pädagogik beherbergt. Er ist eine Schöpfung des bekannten Bildhauers und Tierplastikers Prof. August Gaul aus Großauheim (geb. 22.10.1869 Großauheim bei Hanau – gest. 18.10.1921 Berlin).
Albert Ballin, ein Vertrauter und Duzfreund des Deutschen Kaisers Wilhelm 2., machte als Generaldirektor die HAPAG (Hamburg-Amerika-Paketfahrt-AG) zu einer der größten Reedereien der Welt, die mit 194 Ozeandampfern und mit 1,36 Millionen Bruttoregistertonnen regelmäßig 400 Häfen in der ganzen Welt angelaufen hatte. Ballin hoffte auf die friedliche Gleichstellung Deutschlands mit Großbritannien auf den Meeren; er suchte den Gefahren der Tirpitzschen Flottenpolitik zu begegnen. Die Deutsche Handelsflotte wurde als Folge des Krieges an andere Nationen ausgeliefert. Ballin musste noch in Verzweiflung mitansehen, wie sein Lebenswerk vernichtet wurde. An dem Tag, als Wilhelm 2. nach Doorn ins Exil ging, am 11. November 1918, starb er in einer Hamburger Klinik. Die Witwe glaubte in seinem Namen und getreu seiner vaterländischen Gesinnung zu handeln, als sie 1923 mit einer erheblichen Summe zur Errichtung des Denkmals auf der Wasserkuppe beitrug und zusätzlich auch noch die Bronzeskulptur des Adlers aus dem Garten ihres Anwesens in Hamburg zur Verfügung stellte.
Zwei Bronzetafeln hat das Denkmal: Die große ovale auf der Vorderseite in der Form des deutschen Feldfliegerabzeichens trägt den Spruch: "Wir toten Flieger blieben Sieger durch uns allein. Volk, flieg du wieder und du wirst Sieger durch dich allein." Der Verfasser dieser Zeilen war Oberleutnant Ottfried Fuchs. Die Worte müssen aus dem Geiste jener Zeit verstanden werden: 1923 leidet Deutschland noch immer unter den Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs. Um die in Verzug geratenen Reparationsforderungen zu erzwingen, besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet und das Rheinland. Zum Jahresanfang beläuft sich der Umrechnungskurs zum Dollar auf 7260 Mark, bereits im Juli müssen für einen Dollar 600.000 Mark entrichtet werden. Ein Liter Milch kostet 4000 Mark, ein Ei 800, Kartoffeln 2500 Mark/Pfund, für Bohnenkaffee müssen 36.000 Mark bezahlt werden. Um den Bedarf zu decken, werden täglich 2.000.000 neue Banknoten gedruckt. Wegen der hohen Straßenbahntarife haben Fahrräder wieder Hochkonjunktur. In dieser Zeit wirtschaftlicher Depression und politischer Instabilität sehen die Teilnehmer der Denkmalseinweihung auf der Wasserkuppe ihre Anwesenheit als stillschweigenden Protest gegen die im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 ausgesprochenen Flugbeschränkungen gegen Deutschland. Heute möge man die Worte im übertragenen Sinne erfassen: ..und du wirst Sieger über dich und alles kleinkarierte Gezank, das die Völkerfreundschaft beeinträchtigen könnte, im erweiterten Sinn des Satzes, den Adolphe Gehringer als Präsident der Internationalen Segelflugkommission bei der Schlussfeier der Weltmeisterschaft von St. Yan geprägt hatte: "Ich sehe hier nur eine Nation, die Nation der Segelflieger".
Eine zweite Tafel, kleiner und rechteckig auf der Rückseite des Denkmals bescheinigt: "Errichtet vom Ring Deutscher Flieger e.V. 1923."
Für den Architekt Johannes Moßner galt die Arbeit am Denkmal als freiwillige Ehrenpflicht gegenüber seinen gefallenen Fliegerkameraden. Ottfried Fuchs quittierte 1925 seinen Dienst in der Reichswehr, arbeitete in den Junkerswerken in Dessau. Er war dort maßgeblich an der Entwicklung des Kreiselvisiers für die JU 87 beteiligt.
Der große Tag
Der heftige Weststurm der letzten Tage war noch stärker geworden. Seit dem frühen Morgen strömten die Besuchermassen zur Wasserkuppe. Die vier Vormittagszüge der Reichsbahn von Fulda waren übervoll mit Fremden, ebenso auch die zwei Sonderzüge, für die es allerdings schlechte Noten von der Fuldaer Zeitung gab: "Leider hatte der Sonderzug, der um 10 Uhr in Gersfeld eintreffen sollte, unbegreiflicherweise eine Verspätung von 1,5 Stunden, sodass die Fahrgäste dieses Zuges auf der Wasserkuppe anlangten, als die Feier zu Ende war. Hier hätte die Eisenbahnverwaltung doch etwas mehr dem besonderen Anlass und dem gesteigerten Verkehr Rechnung tragen sollen." Trotz dieser Panne schätzt der Berichterstatter dieser Zeitung, dass 100.000 Menschen der Feierstunde auf der Wasserkuppe beiwohnten. Zu den meistbeachteten Gästen zählte der Bruder des ehemaligen Deutschen Kaisers Wilhelm 2., der flugbegeisterte Prinz Heinrich von Preußen. In voller Wichs stolzierte der Chef des ehemaligen Generalstabes, General Ludendorff, mit Pickelhelm, Säbel und großem Gefolge an. Felix Graf Luckner, der "Seeteufel", der 1917 mit seinem Dreimast-Segelschiff 30.000 BRT gegnerischen Schiffsraums aufgebracht hatte, war da, um den gefallenen Fliegern seine Referenz zu erweisen. Unter den zahlreichen weiteren Ehrengästen waren: Frankfurts Oberbürgermeister Dr. Vogt, Herzog von Braunschweig Ernst-August mit Gemahlin, Ministerialrat von Bredow und viele Generäle. Überhaupt fielen recht augenscheinlich die zahlreichen Uniformen aller Waffengattungen mit ihren Orden und Ehrenzeichen auf.
Man zählte insgesamt 34 Pour-le-merite-Flieger. Anwesend war Hauptmann Wilberg, der Organisator der neuen Fliegertruppe in der Reichswehr. Auch die Witwe von General Hoeppner und die Freifrau von Richthofen, die Mutter des "Roten Barons" und sein Bruder Lothar, waren zur Feier gekommen. Der Preußische Kultusminister Dr. Boelitz war da und der Regierungspräsident Springorum von Kassel mit seinen sämtlichen Landräten (sie stifteten 12 Millionen Mark (Inflation!) für einen Zielflug). Zahlreiche Grußbotschaften wurden verlesen, darunter von Oberst Thomsen, dem ehemaligen Chef des Generalstabs der Fliegertruppe und sogar Großadmiral Tirpitz. Fast endlos war die Reihe der Kriegerfahnen und Ordensbanner, die unter Böllerschüssen vor dem Denkmal geneigt wurden. Natürlich waren auch die Lehrer der umliegenden Rhönorte mit ihren Schulklassen angewandert, galt es doch, Zeitzeuge eines Jahrhundertereignisses zu werden.
Die Feierlichkeit
Der Sturm wurde nicht geringer, eher noch stärker, man registrierte 15 bis 20, in Böen sogar bis 36 m/sek. Windgeschwindigkeit. Die Feierlichkeit wurde deshalb etwas abseits vom Denkmal in den Windschatten des Lerchenhügels verlegt. Trotzdem konnten meist nur die Nächststehenden die Rednerworte aufnehmen. Mikrofone und Lautsprecher hatte man ja noch nicht. Zur Eröffnung spielte der Musikzug des Infanterieregiments 21 aus Würzburg "Siegfrieds Totenklage", anschließend trug ein Quartett von Herren der Frankfurter Oper das "Gebet" von Goltermann ("Herr, den ich tief im Herzen trage") und das Volkslied vom Guten Kameraden vor. Ein weiterer Schauspieler rezitierte dann einen besinnlichen Prolog, der die Erinnerung an die Gefallenen des Krieges wachrüttelte. Nun erst trat der Vorsitzende des Ringes der Flieger, seine Exzellenz Generalleutnant Walter von Eberhardt ans Rednerpult und hielt seine Weiherede. Unter anderem führte er aus: "Wie der Basalt des Denkmals in deutschem Boden wurzelt, so soll unsere Kraft in deutschem Boden wurzeln. Und eigene deutsche Kraft wird es sein, die alle Fesseln, die Schmach und Schande, die Not und Elend uns angelegt haben, wieder sprengen wird. Nach Westen blickt der Adler. Er weist uns den Weg, den wir gehen müssen. Die Inschrift des Denkmals sei unser Wahlspruch".
Welch martialisches Säbelrasseln! Dann übergab er das Denkmal in die Obhut aller künftigen Flieger und des deutschen Volkes. Für den erkrankten Schirmherren, den Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, ergriff jetzt sein Vertreter das Wort, dem eine Unzahl von Verbands-, Vereins- und Clubvorsitzenden mit Kranzniederlegungen folgten. Die Schleife des Kranzes vom Bund der Jagdflieger trug den sinnigen Vers: "Adler, Du halte Wacht! Um uns ist Schande und Nacht. Siehe dort hinter dem Rhein schlummert der Brüder Gebein bis einst der Morgen erwacht. Adler Du, halte die Wacht!" Jetzt kämpfte die Militärkapelle noch einmal gegen den Sturm an, dann bildete das gemeinsame Singen des Niederländischen Dankgebets ("Wir treten zum Beten vor Gott den Herrn, ihn droben zu loben mit Herz und Mund; und machet groß seines lieben Namens Ehren, der jetzo unsern Feind warf auf den Grund") und des Deutschlandliedes den feierlichen Abschluss.
Die Prominenz begab sich nun zur Besichtigung des Segelfliegerlagers, das mit seinen zwei parallelen Straßen einem Dorf ähnelte. Das besondere Interesse galt hier dem Neubau des über 70 m langen Ring-der-Flieger-Hauses (kurz "Ringhaus") mit seinen 42 Zweibettzimmern.
Der Einweihungstag als Flugtag
Da die Einweihungsfeierlichkeit während des Rhönsegelflugwettbewerbs stattfand, ließen es sich die Wettbewerbsteilnehmer natürlich nicht nehmen, auch ihren Beitrag zu leisten. Die Motorflieger, die eigentlich gekommen waren, um während der Denkmalsreden ihre obligaten "Ehrenrunden" zu absolvieren, blieben aufgrund des Sturmes am Boden. Fritz Stamer flog an diesem Tag mit seinem schweren Segler "Bremen" einen 35 Minuten-Flug vorbei an der Eube und den Dreierhöfen bis in die Schwalmbach. Andere Konstruktionen widerstanden dem orkanartigen Sturm nicht ganz so gut: Der Messerschmitt-Eindecker mit Hans Hackmack vertrug die Turbulenz nicht und stürzte beim Roten Moor ab, der Pilot war leicht verletzt. "Der alte Dessauer", der mit Unterstützung der Junkerswerke gebaut worden war, montierte infolge Flügelschwingungen durch überhöhte Geschwindigkeit schon kurz nach dem Start ab, der Pilot Thomsen war nur leicht verletzt. Der Breslauer Richard Tracinski auf dem "Galgenvogel" verlor über Abtsroda die Kontrolle über den Eindecker und stürzte ab.
Er erlitt Kopfverletzungen und eine Gehirnerschütterung. Der Erfurter Eindecker bekam wegen zu hoher Fahrt Querruderflattern mit anschließendem Flügelbruch, der Weltkriegspilot Max Standfuß schlug vor dem Westhang auf. Er starb noch am selben Abend im Berta-Krankenhaus in Tann. Er war das dritte Todesopfer des Segelflugs. Als gegen Abend der Wind abflaute, flog Botsch den Konsul (benannt nach dem Mäzen Konsul Dr. Krotzenberg) der Darmstädter FSG sicher ins Tal.
Ausklang
Mit Genugtuung und Stolz verzeichnet der Herausgeber des Gersfelder Kreisblattes: "Abends fand bei einem gemeinsamen Abendessen von 400 Gedecken im Hotel Adler ein erhebender, vaterländischer Abend statt. Mit goldenen Worten der Ehrung fürs Vaterland und seiner Fliegerhelden und des Dankes für alle Mithelfer auf der Wasserkuppe wurde das Mahl gewürzt. Jubelnd begrüßt wurden die obengenannten Ehrengäste. Reicher Beifall wurde den Rednern, Vortragenden und der Musik gespendet. Der Fliegertag in der Rhön wird allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben."
Auch wenn die Besucherzahl, wie sie nachher in den Tageszeitungen angegeben worden ist, gewiß etwas relativiert werden sollte, sicher ist, daß niemals zuvor oder danach, weder bei den früheren traditionellen Rhönturnfesten Friedrich-Ludwig-Jahn´scher Prägung noch in der Blütezeit der Rhönsegelflugwettbewerbe in den dreißiger Jahren jemals soviele Menschen gleichzeitig auf diesem Gipfel gewesen sind. Mit vielleicht einer Einschränkung:
Am denkwürdigen 26. August 1951, an dem Tag, der als "Fest der Freude" in die Geschichte des Segelflugs eingegangen ist. Damals, als nach sechsjähriger Verbotszeit die Wiederzulassung des motorlosen Flugsports gefeiert wurde, erlebte man hier eine Offenbarung echter Segelflugbegeisterung. In einer schlichten Feierstunde wurde der toten Fliegerkameraden aller Nationen gedacht. Die Presseagenturen nannten damals die Zahl von Fünfzigtausend Besuchern auf der Wasserkuppe.
Der Rhönvater Oskar Ursinus widmete diesem Großereignis in seiner Zeitschrift "Flugsport", in der Nummer 14-16, auf Seite 145 lediglich knappe 16 Zeilen. Der Großauftrieb an Uniformen, das verbale Säbelgerassel und die volltönenden heroischen Reden und das zur Schau gestellte "vaterländische Getue" mag ihn, den leidenschaftlichen Ur-Zivilisten, wohl arges Bauchgrimmen verursacht haben. Für den guten "Rhöngeist" galt die Wasserkuppe als eine Landschaft der Stille, der Einkehr und der schöpferischen Besinnung. Wie mag er innerlich aufgeatmet haben, als zwei Tage später der ganze Rummel vorbei war und wieder Ruhe in der Rhön herrschte.
aus:
Die Wasserkuppe -
Wissenswertes über einen
interessanten Berg in der Rhön
von Joachim Jenrich
erschienen 2004