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Wallfahrtsort Maria Ehrenberg - Geschichte Teil II

Von Alfred Saam

Hans Schram erschien also am Montag, dem 20. Januar 1523, in Brückenau vor dem Sendgericht, dessen Termin an den drei vorausgegangenen Sonntagen durch den Pfarrer im Gottesdienst angekündigt worden war, und klagte "Pfarrer, Schulthes und gantze Gemeinnde" von Kothen, die wie alle Angehörigen der Pfarrei zum Besuch des Sendgerichtes verpflichtet und auch anwesend waren, an, "auff gemelttem Berge mit Pawunng obgemellter Capelln eyn Ketzerey unnd Buberey eyner Walfartt auffgericht" zu haben, wodurch außerdem "seynen Herren und Junnckherren ire Geheltze geschmelertt und entzogenn würden".

Die Anklage Schrams ist in zweierlei Hinsicht interessant. Einmal lässt sie auf einen starken Zustrom von Wallfahrern schließen, da sich die im Bereich des Orensbergs begüterten adeligen Grundherren, in der Hauptsache wohl die Herren von Ebersberg, von Hutten und von Thüngen, bereits um den Bestand ihrer Waldungen zu fürchten begannen. Zum anderen setzt sie voraus, dass nicht wenige Besucher des Sends, vor allem die Sendschöffen, die mit dem Sendherrn, dem Offizial, das Urteil zu fällen und die Strafe zu verhängen hatten und sogar der Offizial selbst bereits der neuen Lehre anhingen. Andernfalls hätte Schram damit rechnen müssen, selbst als Ketzer angeklagt und verurteilt zu werden.

Der Offizial wird in dem Schriftwechsel zwar nicht namentlich genannt. Doch dürfte es sich bei ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit um einen der beiden fürstbischöflichen geistlichen Räte und Kanoniker des Stiftes Neumünster in Würzburg, Dr. Johann Apel und Dr. Friedrich Fischer, handeln, die sich 1523 zur religiösen Neuerung bekannten und noch im gleichen Jahr, da sie sich weigerten, zum alten Glauben zurückzukehren, ihre Ämter und Pfründe verloren und des Landes verwiesen wurden.

Wer der Offizial auch gewesen sein mag, jedenfalls hatte er gegenüber seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Inhaber des Archidiakonates Karlstadt, Johann Copis, völlig freie Hand, da dieser ständig an der römischen Kurie weilte, wo er einflussreiche Ämter bekleidete. Copis stammte wohl aus Niederdeutschland, war auch Archidiakon von Hesbaye im Bistum Lüttich und erhielt 1522 das Bistum Terracina bei Rom, das er bis zu seinem Tode 1527 besaß. Sein Grab befindet sich in der deutschen Nationalkirche in Rom, Santa Maria dell’ Anima.

Wie seine Archidiakonate ließ er auch sein Bistum durch einen Stellvertreter versehen und hielt sich statt dessen an der römischen Kurie auf, wo er mehrfach auch Angelegenheiten von deutschen Prälaten vertrat. Vermutlich hatte er eine einträgliche Domherrnstelle in Würzburg und das damit verbundene Archidiakonat Karlstadt als Entschädigung für seine Tätigkeit an der Kurie im Dienste des Würzburger Bischofs erhalten.

Wie der zuständige Archidiakon war auch der damalige Pfarrer von Oberleichtersbach, Berthold Pfaff, ständig abwesend. Seit 1496 durch päpstliche Provision im Besitz der Pfarrei, ließ er sich bis zu seinem Tod im Jahre 1543 durch sogenannte Vizeplebane vertreten, denen er ihre Arbeit nur schlecht vergütete. Er selbst hielt sich zeitweise in seiner Heimatstadt Geisa auf, wo er die Altarpfründe der Kapelle auf dem Gangolfsberg besaß. Später war er Dekan des Kollegiatstiftes Hünfeld, wo er seit langem schon ein Kanonikat besaß. Vielleicht war zu Beginn des Jahres 1523 sein Vertreter in Oberleichtersbach noch Kaspar Ziegler, der 1521, also im Jahr der Entstehung der Wallfahrt auf den Maria Ehrenberg, die Pfarrei Gersfeld erhielt, sich dort jedoch wenigstens noch für ein Jahr durch einen Kaplan vertreten ließ, um in Oberleichtersbach bzw. in Brückenau zu bleiben.

Bei dem in dem Brief der Gemeinde Kothen an den Koadjutor allerdings ohne Namen erwähnten Pfarrer handelt es sich jedoch nicht um den Stellvertreter Pfaffs, sondern um den in Kothen wohnenden Kaplan. 1512 hatte die Gemeinde Kothen wegen der zu großen Entfernung vom Pfarrort und den damit für den Kirchgang verbundenen Gefahren, vor allem durch Unwetter und Fehden, den Fuldaer Fürstabt um die Anstellung eines eigenen Kaplans für die Seelsorge in Kothen selbst und im benachbarten Speicherz gebeten und sich zur Aufbringung seines Unterhalts bereit erklärt. Sowohl der Fürstabt als auch Pfarrer Pfaff hatten ihre Zustimmung gegeben.

Da die Gemeinde Kothen auch ein eigenes Begräbnis hatte - 1501 war durch den Würzburger Weihbischof Kasper Grünwalder ein Friedhof benediziert worden - , übte der dort wohnende Kaplan alle Pfarrrechte aus und konnte sich daher mit einigem Recht Pfarrer nennen bzw. nennen lassen. Auch der oben erwähnte Kaspar Ziegler urkundete als Pfarrer von Oberleichtersbach, obwohl er nur dessen Stellvertreter war.

Der Kaplan und die Bauern von Kothen, vom Offizial aufgefordert, sich zur Anklage zu äußern, verweigerten jedoch eine Antwort und erklärten nur, sie ihm andertags auf dem Sendgericht in Schondra geben zu wollen, da nicht alle Nachbarn anwesend seien. Doch der Offizial, nicht bereit, eine Verzögerung in der Angelegenheit zuzulassen, fällte sofort das Urteil über Kaplan und Gemeinde und verhängte über sie dafür, dass "sie solche Capelln aufgericht", eine Buße von 50 Gulden, die zur einen Hälfte an ihn selbst, zur anderen an die Amtleute zu Brückenau fallen sollte. Außerdem zitierte er die Gemeinde für den ersten oder den darauffolgenden Donnerstag nach Mariä Lichtmess vor das Geistliche Gericht in Würzburg, wo sie sich von neuem verantworten sollte.

Für den Fall, dass auch nur eines von beidem nicht geschehe, sei es, dass die Buße nicht entrichtet würde oder dass die Zitation nicht befolgt würde, drohte er den Ausschluss von allen Sakramenten an. Dabei brachte er seine neugläubige Gesinnung offen zum Ausdruck, indem er erklärte, er wolle selbst auf den Berg hinaufgehen und den Heiligenstock und die Kapelle zerstören. Hans Schram bot sich sofort an, dies selbst in die Hand zu nehmen. Er wolle, sagte er, einen "Schaup", d.h. eine Schütte Stroh, nehmen und "die Capelln aus dem Erderich verbrennen".

Peter Beltz aus Brückenau, vielleicht einer der Sendschöffen, schlug vor, auch alle diejenigen, die mit Rat und Tat an der Errichtung von Wallfahrt beteiligt gewesen seien, zu verbrennen. Wir wissen nicht, wie das Sendgericht in Brückenau endete. Doch zeigt der Radikalismus dieser drei religiösen Neuerer, dass der Wittenberger Bildersturm von 1522, vor dessen Hintergrund man den versuchten Sturm auf Gnadenbild und Kapelle auf dem Orensberg sehen muss, geographisch keineswegs eng begrenzt war.


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