Auf dem Simmelsberg – Ein Wanderbericht von Waltraud Röding
Samstag, 13. Januar 2001 – Es ist Bilderbuchwetter draußen. Und es ist beschlossene Sache: Wir, das sind Martin und ich und unsere Freunde Sasja und Ken, starten in Würzburg gen Norden. Ziel ist die Schwedenschanze, von wo aus wir unsere Rundwanderung beginnen wollen. Je näher wir auf der Autobahn unserem Ziel kommen, umso mehr schwindet die Hoffnung auf Schnee.
Bei Wildflecken ist zwar alles weiß überpudert, aber das war’s auch schon. Doch die Sonne lacht, wir sind guter Dinge und haben den festen Vorsatz, den Tag zu genießen.
Aber dann: Als wir den Kreuzberg rechts hinter uns lassen ist er da: schimmernd weiß liegt er als zarte Decke auf den Wiesen und Kuppen, blinkt von den Ästen der Bäume und erfreut unsere Sinne: Jucheisa, Juchhee – da liegt er: der Schnee!
Jetzt gehört uns die Welt, und aus dem Autofenster wird sofort begeistert das erste Schneefoto geschossen.
Bei der Schwedenschanze angekommen werfen wir erst mal einen Blick auf die Rundwanderkarte. Eigentlich wollen wir zum Himmeldunk.
Aber der Weg ist 7,5 km lang, um die Hüften haben wir noch die Auswirkungen der Weihnachtsplätzchen und Festtagsbraten, und aus der Übung sind wir auch schon ziemlich. Also entscheiden wir uns für den kürzeren Weg Nr. 2 zum Simmelsberg mit nur 3,5 km Länge.
Rucksack auf, Jacken, Handschuhe und Mützen an und los geht’s. Schon nach den ersten Schritten sind wir von der Schneewelt verzaubert. Jedes Ästchen, jeder Halm hat sein weißes Mützchen auf. Die Sonne lacht vom tiefblauen Himmel und treibt zwischen den Bäumen ihr Spiel mit Licht und Schatten.
Beim Parkplatz der Rhönclubhütte treffen wir auf die ersten Gleichgesinnten. Zwei Väter mit ihren Söhnen sind aus Gersfeld unterwegs Richtung Kreuzberg. Man wechselt ein paar freundliche Worte, woher, wohin und „einen schönen Tag“ und jeder geht seines Weges. Uns führt der Weg nun rechts bergan. Je höher wir kommen um so mehr erfreut uns der Blick in die teils weiße Winterlandschaft.
Immer wieder bleiben wir stehen und schauen und freuen uns über dieses Wetter und den absolut herrlichen Blick in die Rhönberge und -täler. Plötzlich dann, nach mehreren Kurven, scheint uns der Weg Nr. 2 abhanden gekommen zu sein. Auf einer Bank etwas weiter oben können wir nur noch eine 1 ablesen; – aber sonst ging’s doch nirgendwo ab, oder?
Also sprintet Ken los zur Bank und tatsächlich, fast nicht mehr lesbar steht da eine 2 und ein Pfeil der nach oben zeigt. Vom Weg ist nix zu sehen, also müssen wir wohl da rauf, immer gerade aus.
Doch vorher genießen wir noch ausgiebigst den Blick auf den Arnsberg und den Kreuzberg, weiß funkelnd in der Sonne, eingesäumt von dunklen Tannen mit ihren schneebedeckten Ästen.
Die Luft ist so klar, dass wir neben der Antenne auf dem Kreuzberg sogar das Gipfelkreuz erkennen können.
Wir bewundern dunkelrote Hagebutten, umhüllt von schimmernden, blitzenden Eismänteln. Die Bäume tragen gleisenden Schmuck aus Eis und Licht.
Ein einzelner Schlitten mit Kindern saust nebenan auf einer Weide an uns vorbei. Wir hören ihr Johlen und Lachen und weg sind sie.
Man könnte betrunken werden von dieser Schönheit und wir lassen mit Genuss (frei nach Ringelnatz) „die Seele mit den Füßen baumeln“.
Doch dann werfen wir wieder den Blick nach oben: O je, da rauf? Saukalt ist es auf dieser Höhe, und alle die Weihnachtsschleckereien, die wir jetzt in Form von zu vielen Pfunden mit da hoch schleppen müssen… und unsere letzte Wanderung war im Oktober…!
Aber es gibt kein Zurück. Sasja hat ein bisschen Probleme mit der Höhe. So nehmen Ken und Martin sie in die Mitte und los geht’s.
Das ist ein Motiv: Wanderer im weißen Schnee, über dem Gipfel ein strahlend blauer Himmel.
Das schreit nach einem Foto. Aber nix da, dem Fotoapparat ist es zu kalt. Er streikt. Ich mache ihm Mut: „Na komm, mir ist ja auch kalt.“ und: „Weißt du eigentlich wie ein Fotoapparat aussieht, wenn er von der höchsten Stelle eines Berges gefallen ist?“ Doch erst als ich ihn ein bisschen wärme funktioniert er wieder. Der Aufstieg ist zwar kurz, aber da ein bitter kalter Wind weht und unter dem Schnee Eis ist, müssen wir schon aufpassen wie und wo wir die Füße setzen.
Man kann hier sicher nicht abstürzen, aber zum Abrutschen mit Prellungen oder Knochenbrüchen würde es allemal reichen. Und dann sind wir oben und jeder Schnaufer und Seufzer hat sich gelohnt! Wir haben einen Blick von der Wasserkuppe, Pferdskopf rundum bis zum Arnsberg, Kreuzberg usw. Ein grandioser Ausblick in die teils winterweiße Pracht. Das ist ein Glimmern und Funkeln in der Sonne, dass einem das Herz weit wird.
Kleine Dörfer liegen verschlafen zwischen den Rhönkuppen und die Straßen schlängeln sich durch das Land, als hätten Kinder mit dem Malstift Schlangenlinien gezeichnet.
Unser Weg führt uns nun weiter am „Abgrund“ entlang und wir können uns gar nicht satt sehen an der Schönheit dieses Tages und dieses Ortes.
Ken klettert plötzlich auf eine einzelne Bank und erstarrt zum Denkmal des einsamen Snowboarders.
Höhenkoller? Kälteschock? – Doch mit gutem Zureden und der Aussicht auf eine Pause gelingt es uns, ihn in einen Rhönwanderer zurückzuverwandeln.
Weiter oben kommen drei Tische mit Bänken in Sicht. Wir schauen uns an: ‚wollen wir???‘ In den Rucksäcken haben wir Brote, heißen Tee usw.
Natürlich würde kein normaler Mensch auf eisüberkrusteten Bänken und Tischen Rast machen. Aber was ist schon normal? „Hier wird gevespert!“ Gesagt, getan. Es ist jetzt relativ windstill und die Sonne hat eine angenehme Wärme.
Während Sasja, Ken und Martin die Rucksäcke auspacken, Tee in die Becher gießen usw. richte ich meinen Fotoapparat auf dem nebenstehenden Tisch für ein Selbstauslöserfoto ein. Plötzlich brechen die Drei vor mir in Geschreie und Gejohle aus, hampeln am Tisch herum und ich denke schon an Eisbären, Rhöneskimos oder sonst was.
Aber dann sehe ich es: die Servietten tanzen wild in der Luft, der Teebecher ergießt sich über den Tisch, Handschuhe fliegen durch die Gegend, Martins Kamera liegt am Boden und, oh Schreck, mein Rucksack schlittert unverdrossen, von den anderen unbemerkt, auf den Abhang zu – und spornt mich zu olympiaverdächtigen Laufzeiten an. Ich erwische ihn gerade noch. Und den ganzen Spaß hat uns eine plötzliche Windboe beschert. Die Sonne lacht immer noch, aber mir scheint, diesmal hat sie ein etwas hinterhältiges Strahlen.
Ken, der Mutige, setzt sich auf die Bank um später mit leicht angefrorener Hose weiterzulaufen. Aber die Sonne und der Wind bringen das wieder in Ordnung. Beim Verspeisen unserer eiskalten Brote ergötzen wir uns wieder am fantastischen Rundblick. Und bei so viel Kälte brauchen wir natürlich einen wärmenden Schluck aus dem Flachmann, in dem ein Obstwässerle auf seine Befreiung wartet. Fast frieren uns die Lippen am Flaschenrand fest. Dazu gibt’s die letzten Weihnachtsplätzchen (wo sie nun mal gebacken sind…). Auf supereisgekühlte Bananen und Äpfel verzichten wir lieber.
Jetzt führt der Weg nur noch ein kleines Stück leicht bergan, vorbei am Skilift und dann am Waldrand entlang abwärts. Während Sasja und Ken sich gerade mit einem „Bergbusserl“ erfreuen (‚auf der Alm, da gibt’s koa Sünd‘), macht Martin plötzlich Aufwärmübungen und nimmt die Skiabfahrtshaltung ein. Wir sind erstaunt.
Und dann wedelt er den Wanderweg bergab. Er hat nur eines vergessen: die Skier! Auf unsere Männer scheint die Kälte heute etwas merkwürdig zu wirken…
Nach dieser sportlich-eleganten Einlage nimmt uns jedoch wieder die Schönheit der gefrorenen Tannenäste gefangen.
Im Eis brechen sich tausend Farben und Lichter und wir können uns nicht satt sehen an diesem Naturschauspiel. Aber es nützt nix, wir müssen weiter. Jetzt geht es ein kleines Stück durch den Wald und sofort scheint es 10° kälter zu sein.
Nach der nächsten Biegung entdecken wir ein Schild „zur Brendquelle 50m“ und beschließen, uns die Quelle anzusehen. Nach ca. 10 Schritten ein weiteres Schild: „Brendquelle 12 m“.
Und dann stehen wir an der Quelle, lauschen dem Rauschen des Bächleins, erfreuen uns an den flirrenden Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen und natürlich wird fotografiert.
Dabei fällt mir ein lyrisches Werk aus der rhoenline.de ein, das mich durch die Schönheit seines Versmasses und seine logische Konsequenz überzeugt hat und das hervorragend die Fähigkeit des Rhönbewohners wieder gibt, Schönheit mit Logik zu verbinden: „Im Walde rauscht ein Wasserfall, wenn’s nicht mehr rauscht, ist’s Wasser all.“ (steht, glaube ich, unter „Hirschgraben“).
Wer sich intensiver mit diesem aussagekräftigen Zweizeiler auseinander setzt, kann dahinter die Liebe zur und sogar die Sorge um die Natur erkennen (passt auf, dass des Wasser net all wird).
Jetzt geht es zum Endspurt. Noch ein Stückchen durch den Winterwald, ein Reh springt zwischen den Bäumen, die Sonne wirft funkelnde Strahlen durch’s Geäst.
Dann sind wir am Auto. ‚Eigentlich könnten wir grad noch mal zum Kreuzberg rüberfahren und vielleicht dort noch ein Bierchen trinken.‘ Das tun wir. Auf dem Kreuzberg ist was los. Schlitten und Skier sind unterwegs, alles ist mit Autos vollgeparkt, überall Menschenmassen. Wie hatten wir das gut auf unserem Wanderweg.
Wenig andere Wanderer, zeitweise waren wir Vier ganz alleine mit all der Herrlichkeit ringsherum. Aber hier, das pralle Leben; Jubel, Trubel, Heiterkeit. Überall ist es voll besetzt, aber wir ergattern noch ein Plätzchen, trinken Tee, Bier und lassen uns „Bratwürscht“ und „Veschberbladde“ schmecken.
Aber egal was wir noch tun, der Tag neigt sich unwiderruflich dem Ende entgegen.
Als wir vom Parkplatz herunterfahren, liegt die Landschaft in rot-goldenem Licht. Der Arnsberg hat ein rosaschimmerndes Nachtjäckchen aus Schnee an und wer diese Farben nie gesehen hat, wird sie uns nicht glauben.
Auf der ganzen Strecke bis nach Würzburg begleitet uns das orange-goldene Abendlicht und während langsam unsere Beine wieder auftauen und die Nasen in der Wärme den Farbton des Abendlichtes annehmen, lassen wir den Tag in uns nachklingen und wohlig warm ist’s uns innen und außen.





